Aber Krishnamurti sagt etwas anderes...

Ich verfolge deine Live Satsangs seit ein paar Monaten und bin dir sehr dankbar kann aber eins nicht begreifen. Du sagst immer ich bin nicht das was ich wahrnehmen kann - und J. Krishnamurti sagt [ ... ]  etwas völlig anderes??? Ich schätze ihn und dich und kann das nicht begreifen wieso es so widersprüchliche Aussagen von Euch gibt.

 

An der Mail war ein Video von Krishnamurti angehängt. Im Grunde sagt dieser darin, dass wir durch Kultur und Bildung eine falsche Trennung zwischen uns selbst und unseren Qualitäten vornehmen - was zu Konflikten führt.

 

In einem Kernbeispiel führt er aus: “Ich nehme Ärger wahr - dieser Ärger bin ich nicht - also muss ich ihn unterdrücken oder hinnehmen. Daraus ergibt sich Konflikt.”

 

Krishnamurti weist weiter darauf hin, dass es in Wahrheit keine Trennung gibt zwischen “mir” und meinen Qualitäten (wie Ärger). Wenn wir anerkennen, dass wir selbst unsere Qualitäten sind - wenn wir bereit sind, unser Ärger zu sein - dann gibt es keine Trennung mehr - und damit auch keinen Konflikt.

 

Krishnamurti spricht hier eine psychologische Ebene und damit einen psychologischen Konflikt an. Wenn der Mensch Aspekte seiner Persönlichkeit ablehnt weil diese gesellschaftlich nicht akzeptiert sind (z.B. sexuelle Lust, Gier, Eifersucht usw.) entsteht eine psychologische Abspaltung. Da spricht man dann von Projektion, Rationalisierung, Verdrängung usw.

 

Er weist also darauf hin, dass wir psychologisch ein Ganzes sind und dass diese ungeliebten und abgelehnten Gefühle in Wahrheit wir (als Persönlichkeit) selbst sind. Folglich will er, dass wir hier den vermeintlichen Feind (die abgelehnten Gefühle) als unser eigenes Wesen erkennen und integrieren. Jesus hätte gesagt: Liebe deine Feinde.

 

Wenn ich jedoch - im Rahmen von Selbsterforschung davon spreche, dass ich nicht sein kann, was ich wahrnehmen kann - so geht es mir dabei nicht um die psychologische Ebene sondern um eine Erkenntnis-Ebene.

 

Ontologisch (im letzten Grund und Sein unserer Realität) sind wir was IST. Es gibt nur das So-Sein dessen was erscheint. Die Verblendung, Täuschung, Illusion, Avidya oder der Maya-Schleier den wir in der Selbst-Erforschung durchschauen wollen, ist eigentlich nur die Anwesenheit von erlebter Getrenntheit.

 

Das So-Sein zeigt sich also in scheinbarer Getrenntheit. Diese Dualität erleben wir als die Spaltung zwischen Ich und Nicht-Ich. In Realität sind aber sowohl das erlebte Ich als auch das Nicht-Ich (das andere) gleichwertige Illusionen. Die zwei dualen Seiten derselben Täuschung.

 

Wir können nun die Täuschung so angehen, dass wir wie in Krishnamurtis psychologischen Beispiel - alles was uns als Objekt (das Nicht-Ich) erscheint als Subjekt (Ich) identifizieren. Da hieße dann: Der Baum ist Ich. Das Auto - ist auch ich. Alles ist Ich.

 

Wenn am Ende alles Nicht-Ich in das Ich integriert ist, hört die Subjekt-Objekt-Spaltung auf Sinn zu machen. Die erlebte Dualität fällt weg und weicht dem ursprünglichen So-Sein.

 

In der Selbsterforschung gehen wir aber den umgekehrten Weg weil er einfacher ist. Wir objektivieren alles Ich-Hafte. Davon gibt es viel weniger. Ich bin nicht das Ich-Gefühl, die erlebte Subjektivität, mein Wille, erlebtes Handeln oder Bewusstsein.

 

Hier wird alles erlebte Subjekt-Hafte im anschauenden Erkennen als erkanntes Objekt identifiziert und am Ende bleibt kein Subjekt übrig. Auch hier fällt die erlebte Dualität letztlich weg und weicht dem ursprünglichen So-Sein.

In beiden Fällen wird die Illusion der Dualität ad absurdum geführt und die Erkenntnis tiefer an die Realität geführt.

 

Aber auch dieser ganze zeitliche Erkenntnis-Prozess, dieses “angehen” ist natürlich nicht wirklich etwas was ein “Ich” tut oder ein freier Wille in Aktion. Es sieht bloß so aus. Das So-Sein erscheint als raumzeitliche Suche oder Selbst-Erforschung. Aber in Wahrheit erscheint einfach nur ein scheinbares sich-Entfalten von etwas was jenseits von Zeit und Raum liegt.

 

Der Widerspruch den die Frage oben aufwirft, liegt also primär in den verschiedenen Ebenen. Psychologische Ebene versus Erkenntnis-Ebene.

Zum anderen integriert Krishnamurti hier abgespaltene Anteil in ein psychologisches Ich. Er löst eine Spaltung auf und führt beide Teile in ein vollständiges Persönlichkeits-Ich zusammen. 

 

Mir jedoch ist es gleich, ob wir die illusionäre Spaltung von der einen oder anderen Seite auflösen. In beiden Fällen will ich beide Teil der Spaltung als Täuschung durchschauen und damit die Spaltung an sich in das So-Sein auflösen.

 

---

 

Es ist schwer, diese Dinge zu vermitteln. Je schwammiger der Lehrer ist, desto mehr Raum ist da für irrige Interpretation durch den Schüler. Je präziser der Lehrer wird, desto weniger wird er verstanden…

 

Zum Glück sind am Ende all diese Worte der Erklärung unwichtig. Wir müssen nicht verstehen um zu erkennen. Wir müssen einfach nur die Selbst-Erforschung betreiben und am Ende werden damit alle Fragen existenziell beantwortet. Einfach dadurch - dass sich die Frage nicht mehr stellt.

 

Das reicht den meisten Menschen zum Aufwachen. Aber die Gefahr ist, dass man dann plötzlich alle möglichen “Erwachten” die ihre schwammigen oder zumindest teilweise falschen Interpretation über das Wesen der Realität verkünden - aber diese Erwachten sind und bleiben Menschen und werden ihre Erkenntnis also einfach so gut verkünden wie sie diese halt durchdringen.

 

Das gilt natürlich auch für mich. Ich selbst bin Mensch und damit unvollkommen und höchst fehlbar.

 

Selbst wenn letztlich jeder Erwachte dieselbe Einsicht haben mag - so wird das Menschliche und der eigene Horizont diese Erkenntnis sehr individuell interpretieren. Wo der erwachte Gutmensch von Liebe spricht, will der erwachte Narzisst sich selbst als Gott und Heiland sehen.

 

Nicht zuletzt deshalb ist es mir wichtig, dass man sich an keinem Lehrer oder Guru orientiert sondern die Wahrheit in sich selbst findet. Der Lehrer soll letztlich wirklich nur Wegbegleiter sein auf deinem Weg. Nicht mehr und nicht weniger.